GH015: NICHT ALLES WAS GLÄNZT
...ist mit Karamell gefüllt. So sieht die Dystopie des Rap-Interviews aus.
»Ich träum von einer guten Industrie
Und von Bonzen, die irgendwann bekomm’, was sie verdien’n«
— Argonautiks, »Träume«, November 2018
Nun, zugegebenermaßen: Das digitale Ende von Juice, Spex und rap.de kam kaum überraschend. Schon seit Sommer 2020 war das einst relevanteste HipHop-Magazin eine One-Man-Show (s/o David Regner) ohne Budget für freie Autor*innen. Und mit Alex Barbian und Till »Skinny« Arndt haben zwei der prägendsten Gesichter des Portals rap.de bereits Ende 2020 ihre Arbeit niedergelegt – und deutliche Worte für Piranha Media gefunden, den Münchner Verlag, der sich die musikjournalistischen Outlets einst unter den Nagel riss. Drei Jahre nach dem vorzeitigen Aus des splash! Mag (nicht rentabel genug) und dem Misserfolg des Nachfolgers NICETRY (der Name ist Programm) sieht es um den journalistischen Arm der Deutschrap-Bubble zumindest im höherwertigen Bereich düster aus.
Journalistische Berichterstattung und Einordnung, Kommentar und Kritik zum Deutschrap-Geschehen werden nun andere übernehmen – ob im Feuilleton, in Podcasts oder auf Social Media, ob durch erfahrene Musikjournalist*innen oder auf Fanzine-Ebene. Das kontemporäre Angebot ist durchaus präsent. Was aber wirklich verloren scheint, ist das auf diesen Seiten archivierte Wissen über die hiesige Hip Hop-Kultur. Ab dem 01. September war an dem auf der Frontpage von Juice, Spex und rap.de eingeblendeten Copy-Paste-Disclaimer kein Vorbeikommen mehr, einige Wochen später waren die Artikel aus zwei Dekaden Deutschrap wenigstens mit dem direkten Link wieder zugänglich. Die Erleichterung hielt bloß kurz an, denn nun sind zumindest die Texte der Juice samt Disclaimer verschwunden: »Fehler beim Aufbau einer Datenbankverbindung«. Mehrere Anfragen ehemaliger Mitarbeiter zum Verbleib der Texte blieben bislang unbeantwortet.
Die Piranha Media GmbH, heute noch Herausgeberin von Groove und Riddim sowie der Instore-Magazine von Saturn und Burger King, versuchte seit den 00er-Jahren, von den Höhen und Tiefen der Rapszene wirtschaftlich zu profitieren. Mitterweile scheinen selbst die laufenden Serverkosten zur archivarischen Erhaltung der subkulturellen Geschichtsschreibung überdrüssig. Mit bekannter URL kann vielleicht noch archive.org helfen – wer sich allerdings für die Historie unserer Szene interessiert, wird es in Zukunft wesentlich schwieriger haben, gezielte Informationen zu recherchieren. Dass Hip Hop auch in Deutschland seiner Tradition der oral history treu bleibt, liegt nicht an mangelndem Willen, Geschichte zu schreiben. Vielmehr ist der Verlust kulturhistorischer Erzählungen das Ergebnis naiver Fahrlässigkeit, die Macht über den Fortbestand des Wissens in die Hände von AGs und GmbHs zu legen, die im Zweifel Profit über Kultur stellen.
Klassische Formate der Deutschrap-Medienlandschaft sind heute kaum mehr ohne Branding durch einen kommerziellen Sponsor denkbar. Das etwas irritierende Punchline Quiz-Alexa-Sponsoring, die durchaus ansehnliche Diffus Untergrund-Interviewreihe (mit freundlicher Unterstützung von Havana Club) oder der Backspin Podcast (powered by O2) sind nur einige Beispiele einer Bandbreite von Kooperationen zwischen Musikmedien und Marken, die sich gerne mit Hip Hop assoziieren lassen möchten. Solches Branding mag die Formate wenig verändern, beinahe unauffällig die Existenz eines neugierigen Musikjournalismus sichern – und doch: Das Firmenlogo hält auch all jene Kritik, Kontroverse und Unbequemheit fern, die negativ auf die verbandelte Brand zurückfallen könnte. Ein Glück für den Musikjournalismus, dass kein Ende des Deutschrap-Hypes in Sicht ist – der Geldfluss würde schnell versiegen.
Gleichzeitig nehmen Major-Labels die Aufgaben geschwächter Musikmedien liebend gern in die eigene Hand. Sony stellt im ALLES GOLD-Podcast die eigenen Rap-Signings vor und versorgt deren Fans mittels Social Media-Präsenz mit vermarktungsrelevanten Neuigkeiten rund um ihre Stars. Universal setzt mit STOKED sogar gleich auf Interviews, Entertainment-Formate und informative Recherche-Videos auf YouTube. Der Unterschied zum klassischen Rapmedium ist auf den ersten Blick kaum zu erkennen, erschließt sich Außenstehenden vielleicht über das Produktionsbudget (recht hoch) und die Auswahl der Künstler (unter Vertrag bei Universal). Der Erfolg von Corporate Content fußt auch auf der Vorarbeit szene-interner Medien, in denen die Grenze zwischen Entertainment und Journalismus zunehmend verschwamm. Nicht zuletzt der Personalstrom von Musikjournalismus zu -industrie kann hier als Indiz dienen.
Mobilfunkanbieter O2 finanziert nicht bloß den Backspin Podcast, sondern produziert seit einiger Zeit auch eigenen Hip Hop-Content – 2021 etwa ein weihnachtliches Rapquiz. Moderator: Niko Backspin. Selbst eine eigene Instagram-Page besitzt die O2 Music-Kampagne – bei aller Mühe bleibt die Verbindung zwischen Prepaid-Telefonie und Deutschrap jedoch schleierhaft. Sony-Imprint ALLES GOLD wiederum ging zuletzt eine Werbepartnerschaft mit Snickers ein, vielleicht ausschließlich, um einer Werbeagentur den feuchten Traum des »Gold Bars«-Wortspiels wahr werden zu lassen. So nämlich heißt das gemeinsame YouTube-Format, in dem bislang die Sony-Artists Kool Savas, Pajel und Alicia Awa vorgestellt wurden.
In einer Spanne von circa sechs Minuten dürfen die Protagonist*innen von sich erzählen, Lieblingszeilen und -orte benennen und vor allem: den oben genannten Schokoriegel demonstrativ in die Kamera halten. Wenn sie am Ende einen Goldbarren (?) mit eingravierter »Gold Bar« (lies: zentrale Liedzeile des aktuellen Hits) überreicht bekommen, bedanken sie sich brav. Und fast könnte man tatsächlich meinen, die Mars Inc. mache der Kultur ein Geschenk, doch: die eigentliche Gabe besteht in der Assoziation einer völlig unbeteiligten Süßigkeitenmarke mit der hegemonialen kulturellen Strömung des jungen 21. Jahrhunderts. Es bleibt zu hoffen, die eingespannten Künstler*innen haben sich teuer verkauft.
Snickers kauft Kredibilität, damit Rap-Fans Snickers kaufen. Neu ist die Taktik vielleicht nicht, doch dahinter steckt nun die Vision einiger findiger Marketing-Köpfe aus der Rapszene: Vielleicht könnte Rap, das kommerziell erfolgreichste Genre unserer Zeit, durch etwas Anbiederung an Global Player noch kommerziell erfolgreicher werden. Aber nur, wenn auch wirklich alle mitmachen. Deswegen steckt auch HipHop.de das Snickers-Money gerne ein, um in einer bezahlten Promotion den Inhalt der Gold Bars-Videos minutiös wiederzugeben. Selbst bei der VICE, selbsternannte Bastion des unabhängigen Journalismus, schaltet man auf Instagram eine Werbung mit dem Titel: »So sieht die Zukunft des Rap-Interviews aus!«
Sicher nicht. Bei einem Medium, das in der Vergangenheit deutschen Rap immer wieder kritisch eingeordnet und investigativ untersucht hat, muss man doch ausdrücklich fragen: Ist euch das nicht peinlich? Sicher, ich bin kein riesiger Fan des »Epischen Interviews« und seiner vielfach versuchten Imitation, aber die Gold Bars scheitern schon an den simplen Ansprüchen, mit denen das Format in der als Artikel getarnten VICE-Anzeige (leider kurz vor Veröffentlichung dieses Artikels offline genommen) gepriesen wird: Substanz, Echtheit, Biss (höhö).
Auch abgesehen von der Nichtexistenz professioneller Distanz und Glaubwürdigkeit: Vermeintlicher Musikjournalismus aus der Hand von Labels und Lebensmittelherstellern ist in höchstem Maße inhaltsarm, inszeniert und harmlos. Wenn Fler Niko Backspin eine »F*tze« nennt, birgt das mehr Gehalt und Aussagekraft über die deutsche Rap-Kultur als jeder Corporate Content.
Und was, wenn Snickers das Interesse an Hip Hop verliert? Was, wenn Sonys Content-Arm nicht die gewünschte Marketing-Power beweist und der YouTube-Kanal eingestellt wird? Die Gold Bars-Videos im Orbit verschwunden wie die große O2-X-Mas-Rap-Battle-Show Holy Clash of Rhymes mit Niko Backspin? Verschüttete Milch, kein großer Verlust. Doch klar ist: Wir werden unser Wissen wieder verlieren, legen wir es in die Hände der Konzerne.
Umso mehr müssten all diejenigen, denen unsere Kultur am Herzen liegt, für unabhängige Instanzen sorgen. Magazine, die nicht auf Marketing-Gelder der Global Player angewiesen sind; ein Publikum, das auf Abo- oder Spendenbasis kritische Berichterstattung sichert, weil der Diskurs ihm am Herzen liegt. Und Archive, die genau jenes kulturelle Wissen retten und wiederaufbereiten, das nun schon verloren scheint. Zur Finanzierung dürfte man gerne auch die Brands zur Kasse bitten, die sich in den letzten Jahren ausgiebig an Hip Hop bereichern durften. Umverteilung statt Logo-Placement! Man wird ja wohl noch träumen dürfen.