Lars Weisbrod: »Jeder Text im Feuilleton ist ein kleiner Integrationsbambi«
Vor einiger Zeit noch hat er seine Faszination für Deutschrap öffentlich ausgelebt, heute interessiert sich ZEIT-Redakteur Lars Weisbrod bloß für Modern Monetary Theory und Science Fiction. Wieso?
Herr Weisbrod, Sie scheinen das Interesse an Rap verloren zu haben. Weshalb?
Erstens habe ich ein Kind. Früher habe ich immer Musik im Auto gehört, da konnte ich mich irgendwie in den Gangsta-Rap-Fan reinversetzen. Zwischen MaxiCosi und Isofix geht das jetzt nicht mehr, da ist selbst mir der ironische Bruch zu groß. Früher bin ich gern nachts mit dem Auto rumgefahren, habe zum Fenster raus geraucht und Rap gehört. Jetzt rauche ich nicht mal mehr. Das sind so die alterskohortenbiographischen Gründe.
Und zweitens?
Seit diese Pandemie losging, habe ich den Eindruck, ich muss ein anderes Feuilleton machen. Feuilleton, wie ich es vorher verstanden hatte, kommt mir jetzt anachronistisch vor und wird der neuen Welt nicht gerecht. Dazu gehört auch, dass mich zwar Popkultur weiterhin fasziniert, ich aber das Gefühl habe, ich muss heute über andere Popkultur nachdenken als früher. Über Popkultur, die eher mit den großen Bögen unserer Geschichte zu tun hat. Ganz zum Anfang der Pandemie habe ich einen Text darüber geschrieben, dass jetzt eigentlich der Moment der Science Fiction gekommen ist. Weil diese Art von geschichtsphilosophischen Tendenzen, die wir jetzt meinen zu spüren, eben von solchen Formen der Popkultur aufgesogen werden. Gleichzeitig kann ich denkerisch eben weniger mit Deutschrap anfangen. Das gilt auch für Popliteratur wie Leif Randt. Das war doch die Beschäftigung für das Ende der Geschichte, wie man immer gesagt hat. Aber das Ende ist nun wirklich vorbei.
Sie nehmen ein Ende der individualisierten Erzählungen wahr?
Ja. Eine Figur in Leif Randts »Allegro Pastell« sagt, sie habe keine Kinder, weil sie Bücher schreibt, die bestimmte, spezielle Gefühls- und Oberflächenphänomene ihrer Lebenswelt erfassen. Und dazu passt ein Kind nicht. Und ich würde sagen: Dazu passt auch eine Pandemie nicht. Das ist aber keine Abkehr von der Popkultur! Was ist mehr Popkultur als Science Fiction?
Im Sommer 2021 haben Sie K.I.Z interviewt. Teilen Sie den Eindruck, dass die bürgerlichen Medien sich bevorzugt mit Rapper:innen beschäftigen, die der eigenen Lebensrealität nahe sind?
Es gilt mindestens auch gleichzeitig das Gegenteil. Das Feuilleton interessiert sich auch für die Sachen sehr, die es als exotisch wahrnimmt. Klar, das Feuilleton interessiert sich für Zugezogen Maskulin, weil die eh schon das sagen, was junge Feuilletonisten sowieso richtig finden. Aber gleichzeitig interessiert es sich dann auch für Farid Bang, weil er maximal weit entfernt ist.
Dieser exotisierender Blick auf Rap wird dem Feuilleton vorgeworfen. Es ist das gleiche Interesse in Negation: Für Gangsta-Rap interessiert sich das Feuilleton, weil es in der Ablehnung die eigene Position bestätigen kann.
Stimmt, Farid Bang findet dann im Rahmen eines Skandals statt. Vorher hat aber niemand im Feuilleton darüber geschrieben, wie der eigentlich flowt. Wobei das natürlich ein gutes Thema wäre: Ich habe neulich irgendeinen Song gehört, und dann kam ein Gastpart von Farid Bang und ich fand es plötzlich richtig krass, wie er da reingerollt ist. Wie ein Panzer aus einem Krieg von vor fünfzig Jahren. Irgendwie viel zu langsam und viel zu schwer, aber ästhetisch funktioniert es dann wieder. Andersherum habe ich manchmal so dumme Vorurteile gegenüber allem, was mir zu nah geht. Ich bereue bis heute, dass ich nicht über das »Alle gegen Alle«-Album geschrieben habe, obwohl das so ein Meisterwerk ist. Das war reines Ressentiment, weil ich vorher bei einem Zugezogen Maskulin-Konzert stand und die ganze Zeit dachte: Das ist schon alles gut, aber mir ist das zu sehr für mich. Ich fühle mich zu sehr Zielgruppe.
»Ein Gangsta-Rapper freut sich immer über ein Interview im Feuilleton – egal, wie kritisch dann die Fragen sind.«
Apropos »Alle gegen Alle«: Auf dem neuen Song »Magazin für Magazine« disst der Rapper Bushido jegliche Journalist:innen, die in seinen Augen Relevanz haben. Sie nicht. Wie fühlen Sie sich damit?
Ich habe leider den Song nicht mal gehört. Ich bin so raus. Aber ich bin ja auch kein Rap-Journalist. Sorry, ich muss jetzt irgendwas Lustiges darauf antworten. Mir fällt aber gar nichts ein. Bushido hätte einfach erkennen sollen, dass seine Geschichte der Stoff ist, aus dem in den USA irgendein Scorsese den wichtigsten Film seiner Generation macht. Er hätte einen ernsthaften Dokumentarfilmer einladen sollen. Dann hätte man ein Werk gehabt, das einem noch in hundert Jahren etwas erzählt über Gesellschaft und Außenseitertum und die große Trickster-Figur Bushido.
Spannend ist, dass sich Bushido nicht sonderlich für das Feuilleton zu interessieren scheint. Überschätzt das Feuilleton manchmal seine eigene Relevanz für die Menschen, über die es spricht?
Legendär ist ein Artikel von Daniel Haas bei uns im Hamburg-Teil, den GZUZ dann in seiner Instagram-Story vorgelesen hat. Wie GZUZ das so gut kann, hat er sich dann so übertrieben, so geschauspielert über irgendein Wort gewundert: Hä, das kapier ich aber gar nicht! Aber natürlich hat er das nur gemacht, weil er auf genau diesen Effekt setzt. Und sonst bekommt man die Aufmerksamkeit deutscher Rapper auch mal mit einer guten Überschrift!
Sie denken an Shindy.
Die Geschichte muss ich erzählen, es ist die einzige, auf die ich stolz bin in meiner publizistischen Laufbahn. Unser toller Kollege Johann Voigt hat bei uns im Print-Feuilleton eine Rezension zum letzten Shindy-Album geschrieben. Und ich habe dazu die Überschrift gemacht: »Aus Bi€tigh€im-Bi$$ing€n«. Und dann hat Shindy tatsächlich einen Pullover daraus gemacht, ein schwarzes Longsleeve mit diesem Zeitungsausschnitt als Aufdruck. Ich habe mir den natürlich sofort bestellt, ich wollte ihn im Büro aufhängen als Dokument meiner publizistischen Arbeit. Ich glaube, der deutsche Gangsta-Rap versteht ganz gut, was bürgerliche Presse ist. Und man ist dann stolz, dort stattzufinden, weil es doch ein Zeichen der Anerkennung ist. Der Kampf um diese Anerkennung ist ja der Motor dieses ganzen Spiels. Früher hätte man gesagt: Das ist ein Integrationsnachweis. Das war auch immer Bushidos Kampf. Jeder Text im Feuilleton ist ein kleiner Integrationsbambi.
Aber doch bloß als performativer Move, nicht als tatsächliche kritische Auseinandersetzung.
Bei Shindy ging es erstmal nur um die Überschrift, die funktioniert rein performativ, stimmt. Da ist es egal, ob es Lob oder Tadel ist. Aber er hatte auch die ganze Rezension auch in seiner Instagram-Story gepostet, das hat uns viele Leser gebracht! Ich glaube, Shindy versteht durchaus, dass dieser Text ein großes Lob war. Hätte da jemand geschrieben, seine Texte seien Pennälerhumor oder so, dann hätte er es auch nicht »performativ« gut gefunden, dass bei uns was steht. Aber natürlich spielt die performative Ebene eine große Rolle. Vermutlich am meisten bei Interviews. Ein Gangsta-Rapper freut sich immer über ein Interview im Feuilleton – egal, wie kritisch dann die Fragen sind.
»In Berlin gibt es nichts. In Berlin kriegt man keinen Termin, um die Wohnung anzumelden und sonst ist auch alles kaputt.«
Bleiben wir doch in Bietigheim-Bissingen. RIN rappte auf seinem Album »Kleinstadt« kürzlich: »Mashallah, du hast jetzt Prada entdeckt / Es passen drei Familien in mein Haus, der Tisch ist gedeckt«. Auch andere Rapper:innen protzen heute lieber mit Immobilieninvestments als mit Goldketten. Das sind doch Vorstellungen von Wohlstand, die mit Ihnen resonieren müssten?
Absolut. Shindy ist schon 2019 ein Geniestreich gelungen, weil er erkannt hat, dass die wahren Fetttöpfe, an die diese Rapper ran wollen, nicht in Berlin warten. In Berlin gibt es nichts. In Berlin kriegt man keinen Termin, um die Wohnung anzumelden und sonst ist auch alles kaputt. Man hört jedenfalls Schlimmes von den Menschen, die da immer noch leben. Der wahre deutsche Wohlstand liegt in Bietigheim-Bissingen. Shindy sagt: Deinen krassen Porsche seh ich alle zwei Minuten hier. Weil: Hier bauen wir die. Marcus Staiger hat einmal gesagt, deutsche Rapper müssten endlich verstehen: Einen BMW zu fahren ist etwas Anderes, als BMW zu besitzen. Das ist eine Einsicht, die in Bietigheim-Bissingen inzwischen durchsickert. Leider nicht mit revolutionären Konsequenzen, davon sind sicher sowohl RIN als auch Shindy weit entfernt.
Das weckt Parallelen zu Ihrer Besprechung des Albums »The Carters« von Jay-Z und Beyoncé. Darin erfreuten Sie sich besonders an der Zeile »My great-great-grandchildren already rich«.
Ja, das sind zwei Themen, die eng miteinander verknüpft sind. Bei Shindy und Rin stellt sich die Frage: Was ist der echte Wohlstand in Deutschland? Die Antwort ist eben nicht, in Berlin im geleasten Maybach über die Terrasse vom Grill Royal zu brettern, sondern der gute deutsche Hidden-Champion-Mittelstands-Automobilzulieferer. Bei diesem Carters-Album geht es um das große Piketty-Problem: In einer Volkswirtschaft, in der der eigene Wohlstand so sehr von Papas Wohlstand abhängt und die soziale Mobilität weiter abnimmt, wie kann man da überhaupt noch aufsteigen, wenn man nicht sowieso schon in eine Geld-Dynastie geboren wurde, sei es in Baden-Württemberg oder in den Hamptons? Die Antwort der Carters lautet: Man gründet einfach eine eigene Dynastie, dann haben es wenigstens die Urenkel leichter!
Es geht aber in beiden Fällen um die Frage: Wie machen wir neues Geld zu altem Geld?
Mir geht es um diese Erbengesellschaft, in die wir jetzt wieder eingetreten sind, in der das Geld einfach von Generation zu Generation weitergegeben wird, in der Aufstieg durch diese gläserne Erbendecke nur noch schwer möglich ist. Das kann man als Rapper auf den Kopf stellen und sagen: Das größte, was ich leisten kann, ist, dass meine Kinder nie wieder arbeiten müssen und trotzdem ihren Platz in der Forbes-Liste haben. So hat das Beyoncé formuliert. Drei Familien in einem Haus, na gut, das ist jetzt kein Milliardärsnachweis, aber wenigstens mal ein Anfang. Hat Rin Kinder?
Das weiß ich nicht. Würden Sie lieber ein Abendessen mit Jay-Z verbringen oder 500.000 Euro steuerfrei bekommen?
Das ist ein No-Brainer. Als Arbeiterkind nehme ich natürlich die 500.000 Euro steuerfrei. Ich will auf keinen Fall mit Jay-Z essen, dafür ist mein Englisch auch viel zu schlecht.
Wie kann Deutschrap Sie im Jahr 2022 zurückgewinnen?
Ja, warum nicht mal ein Science-Fiction-Epos-Konzeptalbum? Oder natürlich: Mehr Makroökonomie. Ein Track über Geldtheorie. Oder asset price inflation, das wäre wichtig. Kollegah, zusammen mit Bushido und Manuellsen, alle Beefs beiseite: Hey Leute, das Problem, über das wir reden müssen, ist die Vermögenspreisinflation – Wie viel sind unsere Häuser wirklich wert, wenn wir nicht wissen, was unsere Fiatwährung eigentlich wert ist? Geld sind eigentlich nur umlauffähige Schulden, sowas könnte dann eine Zeile sein.
Dieses Interview entstand im Rahmen des Seminars »Spielarten des Kulturjournalismus« an der Freien Universität Berlin.