Calman: »Freiheit ist die Ermächtigung, dich unfrei zu machen«
Er ist Kunststudent unter Rapper:innen und Rapper unter Kunststudierenden, doch gerade im Außenseitertum liegt die Freiheit. Das neue Album von Calman, »Drei Liter«, erschien am 29. Oktober.
Dein Albumtitel »Drei Liter« beschreibt ein begrenztes Volumen. Ist das Album auch in der Enge der Pandemie entstanden?
Schon vor dem Lockdown war das Album fast fertig. Einige Songs haben sich schon krass verändert, die erste Version von »Prenzlauer Berg« klang beispielsweise ganz anders. In der Pandemie-Zeit habe ich nur noch das Intro und das Outro geschrieben. Sonst wäre es mit zehn Tracks recht kurz gewesen. Das letzte Jahr habe ich mich vor allem um Mixing gekümmert. Ich wollte mehr selbst machen und habe mich da richtig stupide eingearbeitet.
Wie klang die erste Version von »Prenzlauer Berg«?
Sehr viel roher. Eigentlich war das ein sehr minimalistischer Track, aber wesentlich basslastiger. Es gab nur den wummernden Bass und zwei kleine Spuren darüber. Alles, was bisschen wärmer und fröhlicher ist, kam später mit rein.
»Prenzlauer Berg« ist auch eine Geschichte von Stadtentwicklung. Ein wummernder Bass würde eher auf die Berliner Technojahre hinweisen, der warme, hippie-mäßige Sound eher auf die Generation deiner Eltern im Prenzlauer Berg.
Interessant. Die Verknüpfung war nicht bewusst. Ich hatte so einen Song schon länger in mir, hatte aber das Gefühl: Dieses Thema ist auserzählt. Wenn du ein Rapper aus dem Prenzlauer Berg bist, ist es der erste logische Schritt, zu sagen: Scheiss Gentrifizierung. Schon aus diesem Grund habe ich mich zurückgehalten. Aber auch ich habe etwas zu diesem Thema zu sagen: Ein relativ später Representer-Track. Es ist der Versuch, damit sehr sensibel umzugehen – und nicht zu einseitig zu werden.
Wieso ist der Prenzlauer Berg tot?
Es geht mir um das Festhalten an einem Lebensgefühl, das es nicht mehr gibt. Das Lebensgefühl ist tot. Die Frage ist: Zu welchem Teil ist das Gentrifizierung, zu welchem Teil ist das einfach Älterwerden? Es ist beides und vermischt sich. Am krassesten ist es, wenn ich merke: Andere Leute fahren an Weihnachten nach Hause zu ihrer Familie, in ihr Dorf, und es ist alles wie immer. Und ich bleibe da und auf einmal ist es leer im Prenzlauer Berg. Und trotzdem ist es gar nicht mehr wie früher. Ich habe ein diffuses Heimatgefühl. Ich fühle mich noch zugehörig, aber um mich herum ist der Ort weg mutiert.
Wie riecht der Prenzlauer Berg für dich?
Der Geruch, den ich vermisse, ist der Geruch von Freiraum und Leere. Der Geruch eines Ortes, für den sich niemand interessiert. Irgendwie ein skandinavisches Gefühl von Einöde. Dadurch auch in Ruhe gelassen werden, Freiraum haben, machen können, was man will. Ein anonymes Dasein in einem Raum, den man erkunden kann. Als Kind bin ich im S-Bahn-Graben rumgekrochen und habe geschnüffelt, was da so los ist. Es waren weniger Leute. Das ist vielleicht die größte Veränderung. Dass man heute oft das Gefühl hat: »Boah, es ist ganz schön voll hier.« Um die Jahrtausendwende war der Prenzlauer Berg egal.
Ist die historische Verbundenheit das, was dich noch dort hält?
Klar, es ist die Nostalgie. Früher hatte ich sehr viel Fernweh, wollte immer nach Japan und habe dann auch ein Jahr in Tokyo gelebt. Dann war ich überrascht darüber, dass ich zurück wollte. Dass da eine Verbundenheit war. Ich bin vom Wesen her ultra trotzig. Je schwieriger es wird, im Prenzlauer Berg ein Leben zu führen, wie ich es mir vorstelle, desto mehr muss ich das hier verwirklichen. Ein wenig wie die melodramatischen Aufnahmen aus China, wenn alles geräumt wurde, um eine Autobahn zu bauen. Und da steht noch ein kleines Haus und harrt aus. So fühle ich mich manchmal.
»Alle faschistischen Systeme beruhen auf dem Argument: Wir brauchen mehr Sicherheit, dafür müssen wir Freiheiten einschränken. Ich glaube nicht an diese Gleichung.«
Ich finde es ganz interessant, dass du rappst: »Ein bisschen wie früher fühlen, als würde das mir gehören«. Ein kindliches Gefühl der Herrschaft über das eigene Umfeld, das sich als Unwahrheit herausstellt, wenn man später von Stadtpolitik, Polizeikontrollen und Immobilienunternehmen erfährt.
Du siehst jetzt, dass die Stadt Leuten gehört. Dass es große Eigentumswohnungen gibt und Lofts auf dem Dach. Heute muss ich mir die Frage stellen: Wem gehört das? Und das bin dann nicht ich, sondern Andere. Der erste Schritt dieser Entwicklung ist, dass überhaupt sichtbar wird, dass dieser Raum jemandem gehört. Dass mein Viertel zugesteckt wurde, eingeteilt und aufgesplittet. Der Prenzlauer Berg ist kein offenes Niemandsland.
Das steckt auch in deinem Video zum Song.
Durch das digitale Rendern wird der Blick auf den Prenzlauer Berg auch unmenschlich und distanziert. Trotzdem hat das etwas sehr Handgemachtes, wie Papierfigürchen, durch die man fährt. Das verbinde ich mit dem Gefühl, durch diese Straßen zu laufen. Einerseits sehr nah und vertraut, andererseits sehr befremdlich.
Gab es einen Moment in deinem Aufwachsen im P-Berg, in dem du plötzlich eine krasse Veränderung gespürt hast?
Die Dachausbauten. Es war krass, als ich das zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hab. Weil das wortwörtlich über einen hinweg passiert. Und es ist ein perfides Symbol: Der Millionär wohnt oben drauf, 300 Quadratmeter und Ausblick über die ganze Stadt. Dort oben regiert er. Um die Ecke von meiner Wohnung wurde eine solche Wohnung aufgestockt. An der Seite vom Haus gibt es einen Aufzug, der nur dorthin fährt. Am Treppenhaus vorbei direkt in den Loft. Da wohnen Leute, die nichts mit der Kiezkultur zu tun haben. Vielleicht auch als Drittwohnung, weil es schick ist. Wie aus dem Katalog. Währenddessen finden Menschen, die mit dem Ort eine ganz andere Verbundenheit haben, keine bezahlbare Wohnung. Da dachte ich: Das ist nicht in Ordnung. Aber eine konkrete Lösung habe ich nicht.
Und du selbst willst nicht dort oben wohnen?
Ich glaube, zu einem kleinen Teil hat man diese neoliberale Denkweise dann auch in sich: Vielleicht habe ich irgendwann Geld, dann kaufe ich mir so eine Wohnung und dann ist es auch wieder gut. Ich hatte eine Phase, in der Geld ganz stark meine Gedanken bestimmt hat. Also: Wie kann ich mein Leben jetzt so ausrichten, dass ich in zehn bis zwanzig Jahren einen Kredit bekomme, mit dem ich mir eine Wohnung hier kaufen kann? An sich ist es cool, das machen zu können. Mich stresst es aber schon, dass ich mich ernsthaft damit auseinandersetzen muss. Dass ich merke, ich kann mir vielleicht nicht mehr leisten, dort zu wohnen, wo ich herkomme. Auf der anderen Seite habe ich mich nie darauf eingelassen, den Kiez vielleicht loszulassen und ein neues Zuhause zu suchen. Die Welt ist vielleicht nicht so eng, wie es im Prenzlauer Berg wirkt.
»Kann Nich Will Nich Werd Nich« widmet sich aktuellen Debatten rund um Polizeigewalt. Wie wurdest du für das Thema sensibilisiert?
Als Facebook noch ein Ding war, war ich viel in Copwatch-Gruppen unterwegs. Da ging es darum, wie Polizist:innen sich daneben benehmen, gewalttätig werden und rassistisch handeln. Persönlich habe ich es nie krass abbekommen, aber auf Demos habe ich dieses Verhalten immer wieder beobachtet. Konkret ist es aber das ungute Gefühl der Machtdynamik, die vorherrscht, sobald die Polizei anwesend ist. Es muss nicht mal etwas passieren. Es ist ein ungutes Gefühl, das aus der Frage entsteht, warum diese Person jetzt eine Waffe hat und eine andere nicht. Warum hat diese Person jetzt das Sagen und die andere nicht? Die gegebene autoritäre Struktur löst Unbehagen in mir aus. Ich verstehe natürlich, wie Gesellschaften organisiert sind und welche Funktion die Polizei hat. Aber von Instinkt und Wesen her war ich schon immer sehr sensibel dafür, wie Macht ausgeübt wird. Warum sind wir nicht auf Augenhöhe? Das gilt auch für Großväter und Sportlehrer.
Ist Autorität in sich schon Unfreiheit?
So pauschal würde ich es nie sagen. Da willst du mich in eine Ecke locken. Autorität kann auch eine Form der Befreiung sein. Bedeutet Autorität automatisch, dass jemand anderem die Freiheit genommen wird? Das passiert oft, aber nicht zwangsweise. Es gibt sicher eine Form von Autorität, die die Freiheit Anderer eher antreibt. Ich glaube, es gibt auch Formen von Führung, die förderlich sind. In der Erziehung beispielsweise: Dem Kind zu sagen, es darf nicht einfach über die Straße rennen. Wenn es dadurch nicht vom Auto überfahren wird, hat es mehr Freiheiten, sich gesund zu entfalten. Weil ich weiß, dass das geht, bin ich besonders sensibel für die Momente, in denen Autorität Freiheit einschränkt. Alle faschistischen Systeme beruhen auf dem Argument: Wir brauchen mehr Sicherheit, dafür müssen wir Freiheiten einschränken. Ich glaube nicht an diese Gleichung.
»Es gibt einen neoliberalen Freiheitsbegriff, der sehr egoistisch ist: Jede:r für sich. Ich denke, dass Freiheit viel besser gemeinsam organisiert werden kann.«
Was ist für dich denn jetzt überhaupt Freiheit?
Ein Stück weit ist Freiheit ein Anspruch an mich selbst und mein Leben. Es bedeutet, einen Platz zu finden und gesund genug zu sein, um diesen Anspruch zu leben. Einen Freiheitsanspruch für sich, für seine Umwelt, für seine Mitmenschen zu haben. Und danach moralische Entscheidungen auszurichten. Freiheit ist eine der Grundbedingungen für ein gutes Leben. Aber Freiheit alleine hat keinen Wert, sie muss immer mit irgendetwas befüllt werden, muss sich durch irgendetwas entfreien. Wenn du freie Zeit hast, hast du sie am Ende für irgendetwas benutzt. Im Rückblick ist sie dann total eingeengt, weil sie nur für eine Sache benutzt wurde – von den vielen Sachen, für die du sie hättest nutzen können. Freiheit ist am Ende die Ermächtigung, dich unfrei zu machen. Beispielsweise, indem du dich an eine andere Person bindest.
Also ist Nichtstun Unfreiheit?
Wenn du nichts tust, bist du tatsächlich ziemlich eingeschränkt. Wenn du in deiner Freizeit nichts tust, um ihr einen Wert zu geben, hast du auch nichts für den Erhalt deiner Freiheit getan. Freiheit ist wie ein Feld, dass du bestellen und abernten musst, um das du dich kümmern musst, damit es nicht brach liegt. Wenn du freie Zeit hast und sie ins Nichts laufen lässt, kannst du dich nur wie ein Junkie von Freizeit zu Freizeit hangeln. Dann bist du aber nicht befreit, sondern das Gegenteil. Immer auf der Jagd nach Freiheit.
Ist der Drang nach eigener Freiheit etwas Egoistisches?
Es gibt einen neoliberalen Freiheitsbegriff, der sehr egoistisch ist: Jede:r für sich. Ich denke, dass Freiheit viel besser gemeinsam organisiert werden kann. Wenn nicht nur ich freie Zeit habe, sondern auch ein Freund, mit dem ich diese Zeit verbringen kann. Umgekehrt: Wenn man sich entfreit, wenn man sich bindet, ist es wichtig, dass Andere mitgehen und sich mit dir binden. Auch, dass du bewusst deine Freiheit anderen hingibst. Das Miteinander öffnet Möglichkeiten für Hingabe und Fürsorge.
Der bürgerliche Freiheitsbegriff ist extrem individualisiert. In öffentlichen Debatten bedeutet der Ruf nach Freiheit oft nicht die Freiheit der Anderen.
Das wird häufig damit gerechtfertigt, dass ja jede:r die eigen Verantwortung trage und die gleiche Startchancen habe. Als sei das ein fröhliches Wettrennen. Man kann eine Gesellschaft anders aufbauen. Auch jemand, der sich dafür entscheidet, nichts zu machen, also »faul« ist, leistet einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft. Und ich glaube nicht, dass das jeder machen würde. Das ist ein Trugschluss des Neoliberalismus. Alleine gehen wir immer unter, nur als Gruppe schaffen wir Dinge.
In »Hat deine Mutter dich nicht gewarnt?« denkst du diese individualisierte Freiheit zu Ende, Richtung Freitod. Dabei musste auch die Freiheit zum Suizid mühsam erkämpft werden. In England wurde Suizid erst 1961 legalisiert.
Ich glaube, Suizid gilt immernoch vielerorts als Mord. In der Kirche ist es auch problematisch, ob man nach einem Suizid überhaupt noch beerdigt werden darf. Das ist natürlich ein Song gegen den Suizid. Es geht mir darum, vor der Freiheit zu warnen.
Der Logik dieses Liedes folgend: Ist die Beschneidung der eigenen Freiheit etwas lebensbejahendes?
Das Leben an sich ist die Summe der Einschränkungen. So fängt das Album ja an: »Natürlich ist Freiheit total wichtig, aber...«. Schon die Natur ist voller Einschränkungen: Einen Körper zu haben, einen Schlafrhythmus, Nahrung aufnehmen zu müssen. Erst eine Summe an Abhängigkeiten lässt einen zum Mensch werden. In diesen Abhängigkeiten navigiert man. Freiheit ist wichtig, um sich einen Raum zu schaffen, aber Unfreiheiten sind genauso wichtig: Freiheit für etwas nutzen, Bindungen eingehen. Noch einen weiteren Tag am Leben zu bleiben, diese Einschränkungen annehmen, das ist der Appell des Songs.
Was stellst du denn der Individualisierung gegenüber? In diesem Fall ist es die Mutter, die hätte warnen können. Auf dem letzten Track ist es der Ausruf »Halt mich fest«. Also die Gemeinschaftlichkeit?
Das Bild von Eingekuschelt-Sein ist ein gutes Motiv dafür: Du hast faktisch weniger Freiraum. Auch im Mutterleib oder zusammengeklammert nimmst du weniger Raum ein, hast weniger Bewegungsmöglichkeit und spürst den Druck auf dir. Du bist eingeschränkt und fühlst dich wohler, geborgener, sicherer als ohne diese Einschränkungen. Das ist die Brücke zum faschistischen Extrem, auf der gesellschaftlichen Ebene wird es gefährlich. Das ist der schmale Grat, das Abwägen von Freiheiten. Das ist nie klar zu beantworten.
»Die Kunststudierenden finden das komisch, weil es aus einer Rap-Ecke kommt. Die Rapper sagen: Was ist das für eine verweichlichte Studentenscheiße?«
Auf »Karrenschieber« nanntest du deine Mitmenschen noch einen »stolzen Ameisenhaufen«. Auf dem neuen Album hältst du dich sofort für »Was Besseres«.
Da geht es um Einsamkeit. Das ist schon immer ein zentrales Thema in meinem Leben gewesen. Das fängt ganz simpel in der Kindheit an: Deine Eltern lassen dir zu viele Freiheiten, also bist du verloren, hast wenig Orientierung. Oder: Allein gelassen werden. Das ist eine Form von Freiheit, aber auch von Verloren-Sein. Aus dieser Ur-Angst vor dem Alleinsein heraus habe ich auch eine tiefe Einsamkeit in mir, das Gefühl: Das ist nicht mein Planet. Ich fühle mich fremd. Das ist der Punkt, an dem mich der Freiheitsbegriff wütend macht: Kommt euch doch erstmal näher, kommt mir doch erstmal näher, bevor wir uns wieder voneinander entfernen. Mein Bedürfnis zu Nähe ist also stärker als mein Drang nach Befreiung. Meine Freiheitsansprüche stehen dann im Widerspruch – weil ich beides will: Meine Sonderstellung und Dazugehören.
In diesem Song sagst du auch: »Ich bin erwachsen geboren – Was für Pubertät? / Ihr macht nur Schwachsinn, nehmt Drogen«. In unserem letzten Interview hast du erzählt, dass du in deiner Jugend krasse Angst vor jeglichen Substanzen hattest. Dabei ist das ja eigentlich ein Klischee der Berliner Jugend.
Der Reiz war für mich die umso stärkere Abgrenzung davon. Und der Trotz. Es war mit Angst und Unbehagen verbunden, dadurch habe ich die Grenze und den Abstand vergrößert. Gleichzeitig habe ich meine Nische dann gefunden: Der komische Typ auf der Party, der nichts trinkt und trotzdem ganz lustig ist. Alle sind besoffen, keiner merkt's mehr. Irgendwie ist man da hineingewachsen. Ich habe gesehen, wie meine Freund:innen nach und nach diese Jugend annehmen. Am Anfang habe ich noch versucht, an denen zu ziehen und zu sagen: »Nee, bleib lieber bei mir«. Irgendwann habe ich die Kompromisse gefunden: Wie ich ich sein kann und trotzdem dazugehören.
Die Berliner New Wave verkauft sehr erfolgreich einen bestimmten Lifestyle, der sich stark aus der Suche nach Freiheit speist. Wie passt das zu deiner Musik?
Ich bin schon mein ganzes Leben lang neidisch auf diese Dynamik: Dass man eine Gruppe hat, dass man sich über Musik verbindet und sich dadurch in einem gemeinsamen Projekt befindet. Meine Kunst habe ich immer als Außenseiter gemacht, alleine aus meinem Kopf heraus. Nicht, um mich abzugrenzen, sondern, weil ich keine Anknüpfungspunkte gefunden habe. Heute denke ich, ich bin vielleicht der einzige, der macht, was ich mache. Das stimmt vielleicht bis zu einem gewissen Punkt, muss aber auch Schwachsinn sein. Die Kunststudierenden finden das komisch, weil es aus einer Rap-Ecke kommt. Die haben auch starke Zweifel an der Maskulinität der Musik. Die Rapper sagen: Was ist das für eine verweichlichte Studentenscheiße?
Dabei sind deine Themen ja gar nicht unendlich weit von dem entfernt, was sich gut verkauft. Schreibst du absichtlich so dicht und unzugänglich?
Man könnte sagen: Ich mache es nicht so sexy. Ich tue mir schwer damit, die Kunst zu einem Gefühl zu machen, hinter dem ich komplett stehe. Wo ich sage: Das ist mein Schmerz, das bin ich. Ich habe immer den Anspruch, vorsichtig zu formulieren. Um die Perspektive flexibel zu halten. Ich habe keinen Wunsch, meine Musik unverständlich zu machen. Aber ich habe mindestens noch ein Album, das ich auf diese Art und Weise machen muss. Weil sich das Thema aufdrängt. Ich möchte dieses komplexe Bild mal gemalt haben, um wenigstens davor zu stehen.
Du thematisierst das Künstlerdasein diesmal zentral auf »Hab viel zu tun«. Welche Freiheit findest du darin, etwa gegenüber dem, was du im Titelsong »Drei Liter« beschreibst?
Ich glaube, »Drei Liter« zeichnet erstmal ein Gesellschaftsbild. In welchen Normen und Erwartungen befinden wir uns? Wie bewegen wir uns darin? Das ist bewusst eine Aufzählung von gefühlten Regeln, die ich sinnvoll finde und Regeln, die ich komisch finde. Niemand glaubt wirklich, man müsste morgens Aronal und abends Elmex benutzen. Trotzdem ist das für viele eine gelebte Regel. Die Werbung funktioniert. In »Hab viel zu tun« bin ich mehr bei mir und verhandel, wie ich mit diesen Regeln umgehe. »Drei Liter« ist erstmal nur der Wunsch: Was, wenn ich jetzt einfach mitmache und mich an die Regeln halte? Der egoistische Liberalismus übersieht viele der Einschränkungen, an die man sich von vornherein hält. Wo man schon grundsätzlich mitmacht und wie viele Privilegien auch darin stecken. »Hab viel zu tun« ist meine persönliche Aushandlung eines Platzes in der Gesellschaft. Auch die Energie aus mir heraus: Ich will das Künstlerleben, ich beanspruche diesen Platz. Und verspreche mir, dass ich nie mehr arbeiten gehe.
Erzähl mir doch mal von deinen bisherigen Job-Erfahrungen. Warum hat das nie geklappt?
Ich habe schon echt früh den Wunsch gehabt, eigenes Geld zu verdienen und habe dann Zeitungen ausgetragen. Das ist das einzige, was du mit 14 Jahren machen kannst. Du bekommst aber auch nur ein paar Cents pro Flyer, nach fünf Stunden Arbeit waren das vielleicht sieben Euro. Irgendwann habe ich angefangen, die Flyer in den Müll zu werfen. Ich glaube, die körperlich anstrengendste Arbeit war Eventservice, Kellnern im gehobenen Catering-Bereich. Mit Sakko fünf Teller balancieren, bei vorgebuchten Events reichen Leuten das Essen hinstellen. Auch ätzend: Du kriegst null Trinkgeld, weil alles schon im Voraus bezahlt ist. Und ich musste jedes Mal zu irgendeinem Hotel rausfahren, im Zweifelsfall nach Brandenburg. Das macht keinen Spaß. Ich habe als Game Designer in Vollzeit gearbeitet, das war immer mein Traumberuf. Weil ich als Zehnjähriger das Bild eines freien Künstlers damit verbunden habe. Dem nähere ich mich jetzt viel mehr an.
Was hat dich daran enttäuscht?
Ich glaube, der Traum war nicht besonders präzise. Mich hat der Zwiespalt zwischen kreativer Energie und den festen Strukturen der Industrie gestört. Markt, Statistiken, Zielgruppe, das stand mir im Weg. Ich wollte mit meiner Kreativität nicht haushalten. Die Scheißjobs haben mir weniger Schmerzen zugefügt, weil ich wusste: Das ist nur ein Job. Ich benutze jetzt meinen Körper, um Geld zu verdienen. Als Gamedesigner musste ich mich verkaufen. Ich bin jetzt 27, mit 20 habe ich direkt angefangen. Nach dem Abi, ohne Studium. Ich habe damals eine einjährige Ausbildung an der Games Academy gemacht. Ich war der jüngste in der Firma, für mich war klar: Ich mache das bis zur Rente. Aber mir ging es gar nicht gut damit! In der Zeit habe ich angefangen, Musik zu machen. Nach acht Stunden Arbeit habe ich zuhause noch sechs Stunden Musik gemacht - Ich brauchte den Ausgleich.
In unserem letzten Interview sagtest du, du müsstest Kunst machen, hättest eine Verantwortung gegenüber der Sache. Von diesem Album aus gesehen wirkt das wie Unfreiheit, oder?
Das ist der Urwunsch, sich zu binden. Teil einer Sache zu sein. Nicht verloren, nicht alleine, nicht vereinsamt zu sein. Es fühlt sich wirklich an wie eine Berufung. Die Kunst ist dringend und muss gemacht werden. Mit dieser Einschränkung kann ich viel besser umgehen, als morgens aufzuwachen und nicht zu wissen, was ich tun soll. Irgendwie kommt das aus mir, aber ich nehme die Kunst nicht als Selbstverwirklichung wahr. Wenn ich darüber nachdenke, was ich machen will, kommt nur Schwachsinn heraus. Ich bin kein Genie. Genie zu sein, heißt höchstens, sich für etwas zu öffnen, das zu dir kommt. Ich glaube nicht, dass irgendwas aus dir kommt. Wenn ich mir vornehmen würde, ein Bild auf bestimmte Art zu malen, würde es nicht geil werden. Die Musik wird gut, weil ich sie durch mich passieren lasse. Das hat mit mir am Ende gar nicht so viel zu tun.