014: RE:RE:RE:RE:RE:MAKE
Sag mein' Namen, Baby, Baby, Pling, Pling, Geh dein' Weg, Gebe gutes Holz. So öffnen und schließen sich die Kreise.
»Alles was Du brauchst
Wird gleich gekauft
Ganz egal was es ist
Von mir kriegst Du kein' Billo-Shit
Du weißt es ganz genau
Mir geht nie die Padde aus
Baby Baby, Pling Pling
Baby Baby, Pling Pling«
— Deichkind, »Pling Pling«, September 2002
Unsere Augen und Ohren sind müde. Ein nicht enden wollender Datenstrom fließt durch sie hindurch, noch dazu: ein sich ständig wiederholender Datenstrom. Nicht nur Lars Weisbrod fiel vor einiger Zeit auf, dass »Jeder zweite Song in der Modus Mio Playlist [...] inzwischen bloß noch ein sehr uninspirierter Remix eines sehr billigen pophits« ist. Fair enough. Daraufhin kleiner Überblick aus KW37: Makko legt mit Miksu & Macloud »Lila Wolken« neu auf, Olexesh singt »Maria Maria«, Luciano sucht wie einst Sean Kingston nach »Beautiful Girls«, PA Sports huldigt mit »Heaven« Bryan Adams, Ion Miles gibt dem MGMT-Hit »Kids« einen neuen Anstrich und Bonez und RAF Camora bedienen sich an »Nuttin No Go So« von Notch und samplen »Axel F«. Ob die Originale als billige Pop-Hits zu bezeichnen sind, bleibt streitbar. Aber neue Ideen? Fehlanzeige.
Gleich den Untergang des mächtigen Hip Hop zu beschwören, wäre übertrieben. Denn all diese Remakes, Remixes und Samples erzählen auch eigene kulturelle Geschichten. RAF Camora verarbeitet schließlich schon seit Jahren Samples populärer Dance-Hits in seinen Liedern. Von Bomfunk MC’s mit »Freestyler« über »Blue« von Eiffel 65 bis hin zu Culture Beats »Mister Vain«. Nicht unbedingt spricht hieraus mangelnde Kreativität, sondern eher eine Würdigung der Remix-Culture und genregemäße Fortführung der Dancehall-Tradition, in deren Erbe sich RAF Camora sieht. Dass dabei am Ende vor allem recht platte Kassenschlager entstehen, stellt keinen Widerspruch dar: Der beste Tune ist der, der das Publikum bewegt.
Nicht anders entstand schließlich Hip Hop-Musik. Die Legende um DJ Kool Hercs Drumbreak-Spin-nereien bei der »Back To School Jam« fußt nicht auf Sozialkritik oder Avantgarde-Kunst, sondern auf der Frage: Wie bringe ich die Leute zum Tanzen? Der in Kingston, Jamaika geborene Kool Herc verstand etwas von Crowd Control – und verdrehte die besonders animierenden Instrumental-Parts seiner Lieblingstracks zu einer Endlosschleife, deren Groove bis heute anhält. Nicht umsonst bleiben Samples wie »Impeach The President«, James Browns »Funky Drummer« oder der Amen Break bis heute Stützen der Popmusik. Und die Crowd tanzt nicht mehr bloß im New Yorker Hinterhof, sondern dezentral hinter Bildschirmen mit Streamingdiensten weltweit.
Dazu kommt: Heute wie damals samplen Producer vorrangig jene Songs, zu denen sie eine enge Bindung haben. Man braucht sich nur anzuhören, welche Tracks im Benz von J Dilla liefen, um zu verstehen: Die unverwechselbaren Beats des Pioniers leben vom Soul der Musik, die ihn sein viel zu kurzes Leben lang begleitete. Und die Berliner Rapperin Babyjoy war zuletzt beinahe verwundert, als ich sie im Kontext der »Me & U«-Interpolation in »Keine Zeit« mit BHZ-Mitglied Monk auf die aktuelle Welle an 2000er-Samples ansprach. »Als ich klein war, habe ich den Song rauf und runter gehört«, sagte sie. »Den kenne ich auswendig.« Vorbehalte gegenüber kalkuliertem Marketing verfliegen angesichts der Liebe zum Spiel.
Dennoch: Nicht unwahrscheinlich, dass sich das Label über »Keine Zeit« besonders freute – schließlich werden die 2000er-Neuauflagen mit ziemlicher Garantie zum Hit. Wenn nicht im Radio, dann doch wenigstens auf TikTok, wo jeder Anflug von Nostalgie mit Klicks und Reach belohnt wird. Vielleicht ist es gerade ein Symptom von Krisenzeiten, dass Hörer*innen sich in simplen Rekonstruktionen einer vermeintlich harmlosen Vergangenheit geborgen fühlen. Die Major-Labels spiegeln dieses Verhalten allzu häufig: Experimentelle Vorstöße werden abgestraft, Altbekanntes muss her. Was schon einmal funktioniert hat, wird es wohl auch ein zweites Mal tun.
Genug der psychologisierten Erklärungsversuche. Denn eigentlich spannend sind doch die Reisen der Versatzstücke, die uns immer und immer wieder in der Popmusik begegnen. Eines der polarisierendsten Beispiele des Hypes um 2000er-Samples ist »Geh dein’ Weg« von Summer Cem, KC Rebell und Loredana, eine zugegeben freche Neuauflage des Destiny’s Child-Dauerbrenners »Say My Name«. Von Wish bestellt, sagen einige, eine Hommage auch im gesamten Look des Videos, das angelehnt ist an »Waterfalls« von TLC, sicher. (mildly interesting: Sängerin ROLA übernimmt in »Blender« visuell »Say My Name« – musikalisch wiederum TLCs »No Scrubs«)
Um nochmal bei Weisbrod zu bleiben: Loredana und co. nehmen Bezug auf jene Zeit, in der Hip Hop überhaupt erst so richtig hegemonial wurde – und versuchen, diese Vormacht zu sichern. Dass sich Loredana, die immer wieder mit Blackfishing-Vorwürfen konfrontiert wurde, durch die Assoziation mit Beyoncé in einer Schwarze Musiktradition stellt, die sie nicht widerspruchsfrei beanspruchen kann, ist eine andere Diskussion. Das Sampling altbekannter Melodien in einer durch und durch kommerzialisierten Hip Hop-Industrie jedenfalls ist nicht zuletzt ein Mechanismus der Machterhaltung – wie ein lange überflüssiger König, der stets seine Verdienste für das Königreich heraufbeschwört.
Neu ist das nicht: »Playing Games« von Summer Walker (2019) und »Girls Love Beyoncé« von Drake (2013) wurden Hits, auch aufgrund ihrer deutlichen Rückgriffe auf »Say My Name«. Selbst die Druffi-Rapper von Deichkind versuchten es 2002: »Pling Pling« aus dem Album »Noch 5 Minuten Mutti« sollte mit Destiny’s Child-Melodie einen ironischen Flip auf die materialistisch-sexualisierte Ausrichtung US-Amerikanischen Raps darstellen. Dem ikonischen Vorbild wird »Pling Pling« so wenig gerecht wie seinem Auftrag. Auch, wenn Rezensenten dem Track eine Club-Karriere prophezeiten: Heute ist er weitgehend vergessen und verstaubt, während die Lead-Single »Limit« (der bei laut.de wiederum eine Ähnlichkeit mit Eminems »Without Me« unterstellt wurde) sich zumindest auf der ein oder anderen Retro-Party einiger Beliebtheit erfreuen darf.
Aus »Pling Pling« wird kein TikTok-Hit mehr – ganz anders sieht es bei ArrDees »Flowers (Say My Name)« aus. Der Hype mag mittlerweile etwas verebbt sein, doch in über 121.000 Beiträgen wurde die Breakout-Single des britischen Rappers auf der chinesischen Kurzvideoplattform verwurstet. Der Erfolg basiert wohl auf drei Faktoren. Zunächst die recht schmierig-trottelige Opener-Zeile, vorgetragen mit der absoluten Selbstüberschätzung, ein lyrisches Meisterwerk geschaffen zu haben: »I don't give girls flowers, I'll give you good wood though«. He He. Nun ja.
Den treibenden Groove hingegen bezieht ArrDees Hitsingle aus »Flowers«, einem UK Garage-Track von Sweet Female Attitude. In seinem Clubhit aus 2001 füllt das Duo die weibliche Perspektive einer Liebesbeziehung aus, die ArrDee in seiner Neuauflage lieber gleich selbst übernimmt, anstatt Reibung oder Widerworte zuzulassen. Und dann ist da Faktor Nummer Drei: »Say My Name«. Mit Destiny’s Child hat der UK-Youngster aber erschreckend wenig zu tun, lediglich eine Hookline und der Titel werden übernommen, doch das erhöht Reichweite und Nostalgie-Feeling.
Eines erreicht ArrDee: »Say My Name« erscheint endlich in einem UK Garage-Gewand. So war es eigentlich einst gedacht, erzählte Destiny’s Child-Producer Darkchild im Interview. Er hatte auf einer Reise nach London im Club nicht genug von den hektischen Drumrhythmen bekommen – bloß die Girlgroup konnte mit der Originalversion des Chartstürmers von 1999 nichts anfangen. Die Drums wurden im Mix ausgetauscht. Mit jedem Sample schließt sich ein Kreis, jedes Versatzstück moderner Musik könnte noch hunderte andere Geschichten erzählen. Doch in erster Linie bleibt zu hoffen, dass Producer endlich wieder mehr wagen. Raus aus der Komfortzone, rein in den Club, hin zu Konzerten experimenteller Gruppen, überall dort reingehen, wo Überraschung lauert. Andernfalls wird sich auch die ewige Tretmühle namens »Modus Mio« irgendwann selbst in den Schwanz beißen.