013: AM ENDE ALLES GUT
Keine Happy-Ends in dieser Gegenwart. Doch deine Tränen trocknen fix, Homie!
»Du weinst und die Sonne gibt dir Taschentuch
Real talk, das ist was sie machen tut«
– Audio88 & Yassin, »Taschentuch«, März 2015
Niemand hat es so schwer wie die Deutschen. Anderswo herrscht Krieg, ja. Aber seht ihr nicht, wie sehr sie leiden? Etwa Influencer*innen, die den Weltschmerz zu vergessen suchen, indem sie in der Instagram-Story empowernde Tänze aufführen, um gleich darauf einen Rabatt-Link zum präsentierten Kleid zu posten. Oder Rapper*innen, denen es natürlich wahnsinnig schwer fällt, ihr neues Album so zu promoten, als wäre nichts. Und dann bewerben sie es doch rund um die Uhr, aber mit dem Zusatz, die Musik möge in diesen schwierigen Zeiten Trost, Ablenkung und Freude spenden. Und dann ist da noch die Wirtschaft. Spielzeughersteller, Unterhaltungskonzerne und Fast Food-Ketten ziehen sich aus dem russischen Markt zurück, um bloß nicht in Kontaktschuld mit der jetzt schon gebrandmarkten russischen Zivilbevölkerung zu kommen. In Deutschland wetteifern Supermärkte währenddessen darum, möglichst öffentlichkeitswirksam russische Produkte aus dem Sortiment zu nehmen, als Zeichen der Solidarität. Wenn wir bloß keinen Wodka mehr trinken, keine Pelmeni mehr kaufen, dann ist unser Gewissen beruhigt. Wir verzichten doch auch! Seht ihr, wie wir für euch leiden?
Beinahe noch schlimmer als die grenzenlose Selbstbezogenheit ist der popkulturelle Erbaulichkeitsfetisch, jede Tragik findet eine wohlige »Good Vibes Only«-Lösung in der Feelgood-Romcom unseres Lebens. Die Jugend dürstet nach Happy-Ends in einer Gegenwart, die sicher kein Ende findet und noch sicherer niemals gut wird. Die Verwertungslogik hat sich das Geschäftsmodell Selfcare gänzlich einverleibt: Wer sich heute um sich selbst kümmert, kann sich morgen wieder um das Bruttoinlandsprodukt kümmern. Die Beruhigungstees, Yoga-Übungen und Masken zur Pflege der Gesichtshaut werden den Burnout schon abwenden. Selfcare für Deutschland. Wer bloß genug konsumiert, braucht sich keine Gedanken um Lohngerechtigkeit und unmenschliche Arbeitsbedingungen machen. Und wenn dann doch etwas passiert, das keiner von uns kontrollieren kann, etwa ein Krieg in der Ukraine, dann muss man doch wenigstens noch tanzen und lachen, vielleicht ein paar Austern und Champagner, der das schlechte Gewissen betäubt. Menschen sterben, aber wir sollten uns davon nicht zu sehr bedrücken lassen. Hauptsache, wir machen uns nicht zu sehr fertig. Ich, Ich, Ich.
Dass der Erbaulichkeitsfetisch nicht bloß die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit umschließt, bewies kürzlich Außenministerin Annalena Baerbock eindrucksvoll. Bei ihrer Antrittsreise nach Israel im Februar besuchte sie die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Dort werden die Namen von Opfern des Holocausts verlesen, auch die meiner Familie. Nicht alle sind bekannt, nicht alle sind digitalisiert, dennoch dauert es drei Monate, bis die Aufzählung von vorne beginnt. Solange konnte Baerbock nicht bleiben, doch sie hatte genug Zeit für eine Rede: »Als Mutter zweier Töchter« stocke ihr der Atem, wenn sie an die Ermordung jüdischer Kinder denke. Nicht allzu lange später konnte Baerbock glücklicherweise aufatmen: »Ich bin noch tief berührt von meinem Besuch in Yad Vashem«, hieß es in ihrer bald darauf wieder gelöschten Instagram-Story. »Aber nun kommt endlich wieder die Sonne raus.« Klar, die Konfrontation tut weh, besonders wenn man sich als Mutter etwas vom Betroffenheits-Kuchen abschneiden kann, weil Empathie ohne Identifikation nicht so recht klappen will. Aber G-tt sei dank, die Sonne gibt ihr Taschentuch.
Auch sonst ist die Erinnerungskultur dieses Landes stets bemüht auf der Suche nach den guten Deutschen. Sophie Scholl ist die Identifikationsfigur der Jugend, weil sie so schön bürgerlich und deutsch war, »Schindlers Liste« zeigt die Menschlichkeit des Kapitalisten, ein beachtlicher Teil der Deutschen glaubt sogar, die eigene Familie wäre Gegner des Nationalsozialismus gewesen, hätte sogar Verfolgten geholfen. Die Fakten sprechen dagegen: Tatsächlich waren es bloß 0,3 Prozent. In diesem Land liebt man Redemption Arcs, die pure Entlastung. Wo ein Elend ist, ist auch ein Trost. Und so ergibt man sich dem Weltschmerz heute noch, nur um zu erkennen, dass man die Probleme der Welt nicht lösen kann, die Schlussfolgerung: Hauptsache, mir geht es gut. Denn wer nicht bis heute unter dem mehrgenerationalen Trauma der Shoah leidet, den tröstet die Sonne, wer nicht wirklich von Krieg betroffen ist, der kann die Angst einfach wegtanzen. Deutscher Rap tanzt munter mit, am Ende jeder Depression steht die Heilung, auf die Schilderungen sozialer Nöte folgt der Reichtum, jede Beschwerlichkeit wird per Triumph überwunden. Und das alles nur durch harte Arbeit und viel Willenskraft, so scheint es. Das Narrativ der Zeit ist ein Gelob der Besserung.
Dabei wäre es völlig in Ordnung, den schlechten Gefühlen ihren Lauf zu lassen. Vielleicht nicht in einer nach Aufmerksamkeit heischenden Instagram-Story, sondern in der Stille oder gar im Austausch mit der eigenen Community. Wenn Medien über einen Atomkrieg spekulieren, ist Angst angebracht. Angst, die sich nicht wegtanzen lässt. Angst, die schon gar nicht kommerzialisiert werden sollte, um auf Provisionsbasis ein paar Taler über Affiliate-Links zu verdienen. Sondern Angst, die konfrontiert und durchdrungen werden muss. Die Gewissensbisse dürfen nicht beruhigt und verdrängt werden, sonst sind sie nutzlos. Es ist ebenso völlig in Ordnung, angesichts des Schreckens der Shoah zu erstarren. Es ist ein Leid, das kein Sonnenstrahl der Welt wiedergutmachen kann. Die tiefe Bedrückung muss zum bewussten Handeln führen, zur gemeinschaftlichen Umsetzung der Forderung, »daß Auschwitz nicht noch einmal sei«. Doch zuerst einmal muss man versuchen, zu verstehen – die Welt und sich selbst. Vielleicht hilft es, das Handy auszuschalten, ein wenig an die frische Luft und in sich zu gehen, Gras anfassen. Die Sonne wird dir schon helfen, einige klare Gedanken zu fassen, denn: »Das ist was sie machen tut«.