012: FEUILLETON FANFICTION
Deutschrap: Warum sich WELT-Redakteure Teenagerinnen ausdenken.
»Rap verkauft sich, ach, mal schnell mitgemacht
Doch in zuviel deutschen Köpfen wird mir zuwenig nachgedacht«
– Stieber Twins, »Fenster zum Hof«, Februar 1997
Nennen wir ihn Michael. Er ist 56 Jahre alt, Redakteur im Kulturteil der rechtslehnend konservativen Zeitung WELT und schreibt gerne Nachrufe, fordert inmitten einer Pandemie volle Auslastung für Fußballstadien und argumentiert für die Einstufung der Atomkraft als nachhaltige Energiequelle. Man stelle sich nun vor, dieser Mann erkenne ein Sexismusproblem im deutschen Rap. Anstatt dass ihm nun in den Sinn käme, nach einem Sexismusproblem in der Mehrheitsgesellschaft Ausschau zu halten, sieht er die Schuld zunächst einmal bei den sowieso so böse dreinblickenden »Milieumusikern«, die in ihren Liedern so unflätige wie respektlose Dinge über Frauen sagen. Doch, da blüht es ihm, irgendwer muss all diese Lieder ja hören. Wahrscheinlich junge Leute. Und das, obwohl man sich in der Redaktionssitzung doch wöchentlich über die Generation Woke echauffiert! Das Hirn fängt leise an zu knattern, zu zischen und zu dampfen.
Die Antwort: Eine junge Frau muss her, eine erfundene Dorothea, eine 18-Jährige Fridays for Future-Demonstrantin, die dem alten weißen Mann Sprechverbote erteilt, dem etwas jüngeren weißen Mann Kristoffer Jonas Klauß aka. GZUZ aber gerne dabei zuhört, wie er in lyrischer Form sexualisierte Gewalt ausübt. Ja, da hat er mit seinem raffinierten Meinungsartikel einen wunden Punkt getroffen, denkt Michael, denn diese Widersprüche, die sind doch kaum auszuhalten – oder wenn doch, dann nur mit einer strammen Portion Dialektik, denn Michael musste sich einst als Soldat oder Chemielaborant oder im Studium der Musikwissenschaft gezwungenermaßen mit Hegel und Adorno auseinandersetzen und trägt noch heute schwerwiegende Schäden von dieser geistigen Anstrengung.
Frauenhass ist in dieser am 01. Februar 2022 auf WELT+ erschienenen Übung im Ein- und Ausrenken des Stammhirns in erster Linie ein Problem der »jüngeren Hip-Hop-Spielarten von Trap bis Autotune«, sicher keines mit Tradition in der »Früher war alles besser«-Oldschool und noch sicherer keines des Autors, der sich tatsächlich lieber eine Teenagerin mit schlechtem Musikgeschmack und sozial gerechten Idealen ausdenkt, als einen Moment in sich zu gehen, um die eigene Sprecherposition zu erwägen. Michaels akrobatischer 5D-Schach-Journalismus schlägt einen Bogen von klassistischen Vorurteilen gegenüber Straßenrappern – über einen kaum verständlichen Gender-Schenkelklopfer und den obligatorischen Björn Höcke-Vergleich – bis zum Klassismusvorwurf an das Produkt der eigenen Fantasie und mündet darin, den Dorotheas dieses Landes eine bierernste Spießigkeit zu attestieren. Wie es unserem Michael eben so passt.
Die sexpositive Rapperin und Ex-Youtuberin Katja Krasavice wird in dieser Erläuterung der fiktiven Moral einer fiktiven Teenagerin zur antifeministischen Feministin erklärt. Warum auch sollte unser Michael es loben, dass sich junge Frauen Vorbilder aussuchen, die ihnen die Scham und Angst vor ihrer Sexualität nehmen? Ein schrecklicher Kontrollverlust über Dorothea wäre das, eine Niederlage für die gesamte Kaste alternder weißer Männer. Am Ende bleibt Michael nur die hochnäsige Weisheit der Frühgeborenen, die besagt, dass Frauen ihre Prinzipien bloß ausleben, um Männern zu gefallen, und wenn sie ihre Prinzipien brechen, dann ebenfalls, um Männern zu gefallen. Seine kruden Thesen stoßen in der eigenen Leser:innenschaft auf gespaltene Resonanz. Unter der Frage »Teilen Sie die Meinung des Autors?« stehen beinahe zwei Wochen nach Veröffentlichung den 78 Ja-Stimmen beeindruckende 170 Nein-Stimmen gegenüber (Stand: 13.02.2022). Dude got ratioed on WELT+.
Doch Michael muss niemandem gefallen, schon gar nicht irgendwelchen Rapper:innen und deren Publikum. Sicher weiß er um die medialen Mechanismen seines verhassten Sujets: Wenn GZUZ und Finch und AK Ausserkontrolle und Mois und Sun Diego und wie sie alle heißen, wenn die Bad Boys von der Frechheit des fabulierenden Best Agers Wind bekommen, dann werden sie Instagram-Stories posten, dass Michaels Arbeitshandy zu glühen beginnt. Und dann, so natürlich die Hoffnung, wird es den Shitstorm geben, wird es Probeabos der jungen Fans und ihrer elterlichen Kreditkarten hageln, Probeabos, die in Vergessenheit geraten, Geld in die geisterhaft leere Kasse des Springer-Verlags spülen und erst nach dem Anschauen von 27 flehenden Videos von Ulf »Bitte Nicht« Poschardt gekündigt werden können.
Es wird noch dauern, bis sich das eigentlich auch schon selbst zur Genüge in Skandale um sexualisierte Gewalt verstrickte Medienunternehmen finanziell rehabilitiert. In der Zwischenzeit werden diejenigen, die mit tatsächlicher Sorge auf deutschen Rap, seinen inhärenten Sexismus und den Klassismus gegenüber seinen Protagonist:innen schauen, noch einiges aushalten müssen. Sie werden sich in Erinnerung rufen, was Miriam Davoudvandi und Lena Grehl einst formulierten: »I got 99 problems but being a feminist listening to rap ain’t one«. Und sie werden im Angesicht des Springer-Journalismus ganz frei die Stieber Twins zitieren: Feuilleton ohne Weitsicht, uhhh, ich weiß nicht.