005: SOZIALE COOLNESS
Mit Verspätung und Zeitverschiebung: Ausgabe 005 über die soziale Kälte der Coolness.
»Triff uns wann und wo du willst, wir tun verschiedene Dinge
Dies das einfach so verschiedene Dinge«
– Dexter, Audio88 & Yassin, »Dies Das«, Juli 2014
Als Kool Savas die Zeile schrieb, welche viele Jahre später zur Basis des ersten und einzigen Sommerhits von Audio88 & Yassin werden sollte, war ihm wohl kaum bewusst, gerade einen neuen Höhepunkt der Coolness im Deutschrap gesetzt zu haben. Mit Leichtigkeit zog er seinen Worten die Substanz ab, gab nicht an mit seinen mannigfaltigen Tätigkeiten, sondern behauptete eben, einfach »verschiedene Dinge« zu tun. Nicht zu unterschätzen, aber eben auch nicht wirklich der Rede wert. Die Coolness ist Beiläufigkeit. Das ist völlig normal.
Schon 2003 schrieben Klein und Friedrich über Kulturpraktiken des HipHop: »Als cool gilt, wer sich nicht anstrengt, sich entspannt gibt, egal, was passiert.« Und: »Coolness ist Blasiertheit als Stil.« Dexter, Audio88 & Yassin treiben dieses Prinzip auf die Spitze: Ganz beiläufig erzählen sie von Tourterminen, Pissen, Kacken und Flakgeschützen auf dem Ku’damm. Das sind eben einfach ganz normale, verschiedene Dinge. Die Coolness der Rapper entsteht dabei weniger aus ihrem äußeren Eindruck, mehr aus der Selbstverständlichkeit, mit der sie sich geben.
Die Beiläufigkeit, mit dem der Kinderarzt und das griesgrämige Duo auftreten, war jedenfalls 2014 eine willkommene Erfrischung, so wie Kool Savas’ coole Ignoranz zehn Jahre zuvor erfrischend wirkte. Und auch heute freue ich mich über Beiläufigkeiten häufig mehr als über verkrampfte Profilierung. Etwa, wenn Gianni Suave auf »Newcomer Forever« so ganz anders als explizit politische Rapper verlauten lässt: »Meine Vision anders, uns’re Vision different / Währenddessen 2020, halbe Welt ist noch rassistisch«. Lässig ist diese Zeile, und dadurch cool.
Leider ist diese Art der Coolness eine Seltenheit, denn sie ist bei Gianni Suave explizit politisch. Für gewöhnlich, und so ist sie das Ideal der HipHop-Kultur, ist Coolness distanziert, unemotional, kühl berechnend und etwas narzisstisch. Coolness heißt, keine Ficks zu geben und setzt dabei das Individuum gegen ein Kollektiv. Der coole Egozentrismus erteilt den Anspruchshaltungen von außerhalb eine Absage und stellt sich so vielleicht ganz kurz quer in einem System, das beinahe vollkommen auf Leistung basiert. Auf lange Sicht ist Coolness aber auch eine Absage an das soziale Gefüge, in dem gesellschaftliche Veränderung überhaupt erst entstehen kann. Der Hass auf die eigenen Fans, von denen sich Yassin am Merchandise-Stand vollquatschen lässt, macht ihn vielleicht zu einem coolen Misanthropen, sicherlich aber nicht zu einem Sympathieträger.
Dazu kommt das altbekannte Problem des Patriarchats: Coolness ist historisch vor allem hegemonial männlich. Die einhergehende Gefühlskälte, nicht nur gegenüber FLINTA*, sondern auch gegenüber sich selbst, erschwert das Vorankommen des sozialen Gefüges erheblich, torpediert aber auch die Beziehung zur eigenen Emotionalität. Wer immer nur cool ist, ist nicht gemacht für eine progressive Gesellschaft. Das immerwährende Gefühl der Coolness bestätigt allerhöchstens die neoliberal-bürgerliche Annahme, dass der einsame Kampf zum Erfolg führt. Überraschenderweise sah das der heute vollends degenerierte WELT-Chefredakteur mit den vergilbten Twitter-Fingern Ulf Poschardt Anfang der Nullerjahre ähnlich. Dem »coolen Rebellen« stellte er den »aggressiven Revolutionär« gegenüber, für den »der Umsturz kein zynisches Spiel, sondern eine politische Verpflichtung zum Handeln« sei.
Blöderweise schlussfolgerte Poschardt nur einige Zeit später, wer Pop liebe, müsse FDP wählen – Die Parallele bildet das trügerische Glücksversprechen des bürgerlichen Individualismus. Von der These des niederträchtigen Medienschaffenden bleibt wenigstens die Erkenntnis, das die allgegenwärtige Coolness weniger progressiv ist, als sie häufig interpretiert wird. Coolness, das ist auch soziale Kälte. Sich gut zu fühlen, ohne dass es den Anderen gut tut, ohne Heilungsprozesse und Kollektivismus. Und doch ist die Lässigkeit eine wichtige Lektion: Eindeutige Positionierung, echte Gefühle, Selbstverständnis und offene Kommunikation, all das muss gar nicht verkrampft sein.
Popkulturelle Coolness muss endlich wärmer werden, empathischer. Wenn nicht mehr allen alles egal ist, wenn Pragmatismus ohne Zwang einhergeht, dann könnte ich eventuell auch aufhören, deutschen Rap ständig als neoliberalen Haufen zu bezeichnen. Doch schon jetzt machen immer mehr Stars der Szene mentale Prozess öffentlich einsehbar, übernehmen Verantwortung und werden nahbar, statt sich bloß per Distinktion aufzuwerten. Authentizität, diese weitere Grundsäule von HipHop, heißt eben auch Selbstreflektion. Protzen war gestern.