»Jetzt schmeiß du dich ruhig schützend vor Hip-Hop
Doch erwarte nicht, dass ich da mitmach' (nee!)«
– Fatoni, »Ich glaub mit mir stimmt was nicht«, Juni 2019
Jan Delay, du Trottel! Da wird wegen einer antisemitischen Zeile, die nur die Spitze eines nie enden wollenden Eisbergs ist, das alljährliche Größenwahn-Event der deutschen Musikindustrie abgeschafft und dem Herrn Eizi Eiz fällt drei Jahre später wirklich nichts besseres ein als: »Im Zweifel stehe ich immer auf der Seite von HipHop.« Schutzreflex bei Eißfeldt, Würgereflex bei mir. Denn: Deutschrap ist schon lange keine Nische mehr, kein Schmuddelkind der Poplandschaft. Längst machen Rapper Geld mit den größten Firmen des Landes, längst entdeckt das Feuilleton immer wieder einen neuen »Dichter der Stunde«. Und trotzdem ereignet sich bei jeder Kritik an der menschenverachtenden Scheiße, die produziert wird, das gleiche alberne Theater. Irgendwer benennt das Problem und hunderte egozentrische Figuren der Halböffentlichkeit werfen sich in die Schussbahn, um ihren heiligen HipHop zu verteidigen.
Das nimmt mitunter kuriose Züge an: Während die Auschwitz-Line von Farid in den großen Redaktionen für Trubel gesorgt hat, herrschte in Szene-Medien eher Desinteresse. Warum auch nicht? Echo abgeschafft, das kann einen nur freuen. Farid Bang und Kollegah rappen problematische Zeilen, die über ihr Ziel hinausschießen? Erzähl mir was neues! Dass Kollegah über Jahre hinweg antisemitische Verschwörungsmythen verbreitete, wurde selbst in den liberalen Tageszeitungen kaum diskutiert. Genauso schien es egal, dass dieses turbokapitalistische Echo-Event sowieso Musik nur anhand ihrer Verkaufszahlen beurteilt. Das Schlimme war ja anscheinend die Wortwahl der Rapper, nicht die Ideologie, die alle Bereiche der deutschen Leitkultur durchzieht. Und immer, wenn es um Wortwahl geht, steht Rap geschlossen und verfällt in das Posttraumatische Stresssyndrom aus der Zeit, in der man wirklich noch belächelt und ausgegrenzt wurde. Provokation durch Sprache endet jedes Mal in einem »Ich lasse mir nichts verbieten«-Argument.
Und im Zweifel steht Jan Delay, dieser schlecht gealterte Pionier deutschsprachigen Sprechgesangs, immer auf der Seite von HipHop. Denn HipHop ist ja ganz anders als der gesellschaftliche Mainstream, oder nicht? Hier geht es schließlich nicht nur um Vermarktung, sozialen Aufstieg, Verfestigung hegemonialer Männlichkeit, oder nicht? Irgendwann ging es mal um Community, Zusammenhalt und Solidarität, zumindest in der Vorstellung jener, die nicht glauben wollen, dass es am Ende immer auch um Geld geht. Und vor allem Nazis, die haben im HipHop nichts zu suchen, oder? So war man sich dann auch bei Chris Ares sehr schnell sehr sicher: Das ist kein HipHopper, das ist ein parasitärer Eindringling. Nicht so sicher war man sich bei Cashmo, der sich im letzten Jahr mit seinem Song »Alman« der Bildsprache der Rechten bediente und ein paar White Tears verdrückte. HipHop.de polterte los, Cashmo ziehe ein Publikum an, das wir in der Szene nicht haben möchten (LOL). An anderer Stelle hieß es, Cashmo könne ja gar kein Rechter sein, er ist schließlich HipHop durch und durch. Die Fans des Rappers hingegen unterstellten Kritiker:innen wie Jule Wasabi in der Folge, keine Ahnung von HipHop zu haben. Was eine Farce.
Als Popkultur Numero Uno ist Deutschrap nicht anders als der deutsche Mainstream. Maximal gewinnorientiert, sexistisch, heteronormativ, ein bisschen rassistisch, ein bisschen völkisch, ein bisschen antisemitisch, hier und da mal progressiv und vor allem sehr deutsch. Letzteres zeigt sich vor allem darin, dass alle möglichen Pappnasen ständig deklarieren wollen, wer dazugehört und wer nicht, ohne irgendeine Entscheidungsgewalt zu besitzen. Und weil viele große Figuren der längst verwaschenen Szene trotz allem am Trugbild der eingeschworenen Gegenkultur festhalten, fasst man sich an den Händen und steht geschlossen gegen jede Kritik vom vermeintlichen Außen. Wer HipHop liebt, muss Kritik an der eigenen Blase üben. Nur so geht Teilhabe, Verbesserung und Gestaltung.
Jan Delay könnte das alles egal sein, er hat gerade erst ein mittelmäßiges Album veröffentlicht, das sich stilistisch zwischen Reggae und Schlager einordnen lässt, er könnte sich von der gesamten zeitgenössischen HipHop-Landschaft distanzieren, ohne, dass irgendjemand sich großartig daran stören würde. Aber er schafft es nicht, die identitätsstiftende Projektion abzuschütteln. Wie auch? Er schafft es nicht einmal, sich vom ehemaligen Featurepartner und mittlerweile wohlbekannten Frauenschläger GZUZ zu distanzieren, das sei schließlich Privatsache. Und wieder eine Kugel für jemanden gefangen, der längst aus dem Diskurs ausgeschlossen gehört. Was ist denn jetzt mit »Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt«? Die Axel-Springer-Verschlinger, die linksliberalen Weltverbesserer, selbst völkische Reggae-Fetischisten, sie alle dürfen seine Gute Laune-Hymnen mitgrölen. Und sie alle sind HipHop.